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Sunrise over Maroubra Beach in Sydney Australia_edited.jpg

Sonnenflimmern, Meeresbrise, Christstollen

Gregs Mutter schiebt die Terrassentür auf. Tropfend rennen wir in sein ehemaliges Jugendzimmer, ein altes Plakat von Kylie Minogue am Schrank, Rugby-Fotos im Regal.

Mein Bikini ist noch klamm vom Meerwasser, doch ich schwitze schon wieder. Greg öffnet mit einer Hand die Schnalle meines Oberteils und bedient mit der anderen die Fernbedienung der Klimaanlage. Schon strömt eiskalte Luft aus dem scheppernden Gerät.

„Ich habe dich vermisst, Jules. Wer hätte das gedacht …“, flüstert er mir ins Haar. Ich lache. Ja, wer hätte das gedacht, obwohl er sich so auf den Weihnachtsbesuch in der Heimat gefreut hatte? Das letzte Jahr in Deutschland war schwer für ihn, mein Australier findet sich nicht zurecht in Poltringen, meinem schwäbischen Heimatdorf mit Kehrwoche und Dialekt. Anfang Dezember ist er vorausgeflogen nach Down Under. Die längsten drei Wochen meines Lebens. Aber er hat mich vermisst, alles ist gut. Wenn ich bei ihm bin, ist immer alles gut.

„Da siehst du mal. Ich habe nicht mal gemerkt, dass du weg warst!“, antworte ich.

„So, so. Na, dann komm her, Kartoffel.“ Er zieht mich in sein Jugendbett. Als er mich das erste Mal so genannt hat, habe ich mich beschwert – nicht alle Deutschen essen gerne Kartoffeln. Er hat mich aufgeklärt, dass er mich nur wegen meiner Figur so nenne.

Noch nie hat mich ein Mann so oft zum Lachen gebracht. Ich atme seinen Duft ein. Meine Lieblingsdroge. Drei Wochen Leere. Atemlos holen wir sie auf. Jetzt bin ich wieder ganz.

Danach fange ich an zu zittern. Der kalte Luftzug der Klimaanlage dringt mir in die Knochen. Das Hin und Her der Temperatur macht mich hier jedes Mal körperlich fertig. Ich schnappe mir eines seiner alten T-Shirts aus dem Schrank, setze mich an den Schreibtisch und schaue zu ihm. Zufrieden sieht er aus, hier in dem Zimmer, dass er vor einigen Jahren verlassen hat, um erst nach Sydney und von dort aus nach Deutschland zu verschwinden. Heimisch. Er zieht seine Jeans vom Boden zu sich und kramt in den Taschen nach Zigaretten, Papers und dem Gras, das uns Matthew mitgegeben hat, als er uns vor Gregs Elternhaus abgesetzt hat.

„Hier? Wirklich?“, frage ich.

„Sei nicht so deutsch, Jules.“ Er grinst. „Aber wenn es dir lieber ist, gehen wir zum Strand.“

Es ist mir lieber. Ich lerne seine Eltern erst jetzt kennen und will einen guten Eindruck hinterlassen. Bevor Greg vor einem Jahr aus Australien mit zu mir kam, erschien es uns zu früh dafür, wir kannten uns erst ein paar Monate. In Deutschland mussten wir dann für den Flug sparen. Mein Stipendium und die paar Euro, die Greg als Fahrer einer Schneeräummaschine oder Aushilfskraft auf einem Pferdehof verdient, reichen gerade für den Alltag. Zwischendurch wollte er Künstler werden, Journalist, T-Shirt-Designer, aber keine Idee war nachhaltig, geschweige denn lukrativ. Umso mehr wird er sich über mein Geschenk freuen, das ich schon heimlich unter den Weihnachtsbaum gelegt habe: Ein Kurs für kreatives Schreiben, auf englisch. Vielleicht findet er dort sogar ein paar englischsprachige Freunde.

Da ruft uns von unten seine Mutter. Zum Glück haben wir mit dem Joint gewartet. Sie steht stolz vor dem geschmückten Weihnachtsbaum und schaut erwartungsvoll zu Greg. Doch er geht mit einem kurzen Lächeln vorbei, auf die Terrasse, zu Vater, Bruder und dessen schottischer Freundin. Ich bleibe stehen.

„Wunderschön! Der Holzschmuck, wirklich hübsch!“, rufe ich aus. Aber ich bin kein Ersatz. Mit herabhängenden Mundwinkeln folgt sie ihrem Sohn nach draußen.

Auf dem Tisch wartet eine Kiste kleiner gelber Mangos. Greg nimmt eine Frucht und schneidet sie für mich auf. Ich entweihe die Früchte mit meiner deutschen Art des Schälens und Klein-Schneidens, findet er. Nun gilt es möglichst viel Saft mit dem Mund aufzufangen und den Rest von den Fingern abzuwischen. Nie wieder habe ich die rohe Klebrigkeit von Mangos so genossen wie am Nachmittag dieses Heiligabends.

„Noch eine?“, bitte ich ihn. Er nimmt die nächste, schneidet schwungvoll in die Frucht, nahe am Kern, klappt sie auf und verzieht angewidert das Gesicht. Ein schimmliger Insektenkörper hat sich in das Fruchtfleisch gegraben und ist in der Süße verendet.

„Willst du deine Familie anrufen?“, fragt mich die Mutter. „Ihr feiert ja heute, sie vermissen dich bestimmt. Ich habe Greg ja auch so vermisst letztes Jahr, wie schön, dass er jetzt da ist.“ Sie strahlt. Hoffentlich schaffen wir es, sie regelmäßig zu besuchen. Greg räuspert sich und schüttelt den Kopf in unsere Richtung. Ich verstehe das Signal nicht, also erzähle ich ihr, was wir an Heiligabend immer essen: saure Zipfel mit lauwarmem Kartoffelsalat. Greg ist erleichtert über den Themenwechsel und beschreibt mit lautmalerischem Würgen, wie eklig er die in Essig eingelegten Würste fand. Seit ich kein Fleisch mehr esse, verstehe ich das gut. Dann wende ich mich an Pauls Freundin Kathy und frage, was es in Schottland gebe.

„Britisch“, antwortet sie. Immer wieder blickt sie zum Strand, als suche sie einen Fluchtweg. Sie lehnt sich zu mir und flüstert, für alle hörbar: „Wie du so locker bleiben kannst …“

Verstört schaue ich zu Greg. Der schüttelt erneut den Kopf.

„Die Hitze ist unerträglich, oder?“, wechselt seine Mutter das Thema. Ich nutze die Gelegenheit, gehe ein paar Schritte und telefoniere mit meiner Familie, bevor es in Deutschland zu spät wird. Ich vermisse sie sehr.

Den Abend verbringen Greg und ich bekifft am Strand. An ihn gelehnt beobachte ich das geruhsame Vor und Zurück der Wellen. Keine Sorgen, kein Alltag, nur das Jetzt. Wie unsere ersten gemeinsamen Monate in Australien, über ein Jahr ist das schon her. Ein unbekümmertes Paradies, ein schwereloser Traum.

„Irgendwann sitzen wir als Oma und Opa am Meer und blicken nicht mehr in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Zurück auf diesen Abend“, flüstere ich in sein Ohr. Ein ‚Was denkst du?‘ verkneife ich mir. Ich habe Angst vor der Antwort, auch nach zwei Jahren Liebe.

„Hoffentlich tritt uns dann auch jemand Gras ab!“, witzelt er und baut den nächsten Joint.

„Ich kann mir richtig vorstellen, wie du mit Rollator die Bahnhofsviertel abläufst!“ Er knufft mich in die Seite. Wir albern uns in einen Lachflash hinein, ich pruste bis zum Seitenstechen. Jedes Mal, wenn ich mich beruhigt habe, macht Greg irgendeinen Quatsch, greift unsere Insider-Witze über für ihn unaussprechliche Namen auf – Jörg! – oder versucht sich an Imitationen von Angela Merkel. Jedes Mal fange ich erneut an zu lachen.

„Stopp! Jetzt hör schon auf“, rufe ich, weil es langsam wehtut. Vielleicht auch, weil jeder Rausch irgendwann enden muss.

Seufzend zündet er die nächste Tüte an, und wir schauen schweigend in den Sternenhimmel. An welchem Strand wir wohl in fünfzig Jahren sitzen? An diesem hier? Als Rentnerin fände ich den entspannten australischen Lebensstil vielleicht sogar angenehm. Obwohl, schon diese Vorstellung verknotet mir den Magen. Hier ist es so anders, trotz der vielen Monate, in denen ich vor über einem Jahr hier gelebt habe. Immer noch fremd.

Der Orion liegt waagrecht, es ist das einzige Sternbild, das ich erkenne. Ich suche den Polarstern, bis mir einfällt, dass der nur auf der Nordhalbkugel Orientierung bietet.

„Das andere Ende der Welt …“, seufze ich und ergreife Gregs Hand. Sanft küsst er mich auf den Kopf, nickt und wühlt mit einer Hand im Sand herum. Er atmet tief ein, als wolle er etwas sagen. Plötzlich schreit er auf und zieht den Finger zurück. Ein Blutstropfen läuft herunter. Eine Scherbe! Ich nehme die Hand, puste darauf, sauge das Blut weg. Alles wieder gut.

Der Strand ist inzwischen menschenleer. Jede Welle nimmt einen Teil des perfekten Abends mit in das Meer zurück. Wir schweigen. Irgendwann gehen wir nach Hause, jeder in seine Gedanken versunken. Wir halten uns an den Händen, ganz fest. Die Mutter, die allein auf der Terrasse sitzt, sieht uns unseren Zustand an und zieht die Augenbrauen hoch. Greg zuckt entschuldigend mit den Schultern.

„Wo sind denn alle?“, fragt er.

„Dein Vater ist auf ein Bier in der Kneipe. Paul und Kathy sind spazieren. Ich glaube, ihr sind wir zu australisch.“ Sie zwinkert mich an. „Du steckst das alles ja gut weg!“ Über das Kompliment freue ich mich, auch wenn es nicht stimmt. Nichts wünsche ich mir mehr, als dass sie mich genauso mag und so herzlich aufnimmt wie meine Mutter Greg.

Später vernichten wir im Rausch, am offenen Kühlschrank stehend, einen vegetarischen Pie, Toast mit Philadelphia und süßsaurer Soße und einen Becher Hägen Dasz. Dazu mixt Greg uns tropische Cocktails und verziert sie mit Schirmchen.  

Nach dem großen Fressen übermannt uns schnell die Müdigkeit. Greg geht vor, ich wanke hinterher. Unten an der Treppe überlege ich lange, wie ich meine Beine bewegen muss, damit sie diese Hürde bewältigen. Kaum wage ich den ersten Schritt, stolpere ich. Gerade noch klammere ich mich am Geländer fest. Mein rechter Knöchel tut weh, nur mit Mühe schaffe ich es zu Greg ins Bad. Im Spiegel sehe ich traurig aus. Selbst als ich mich zwinge, die Mundwinkel zu heben, bleiben meine Augen traurig. Meine Lieben sind weit weg, und trotz Greg fühle ich mich an diesem Tag besonders allein hier in der Fremde. Einsam.

Die kalte Dusche hilft, und Greg, der sich von mir den Rücken abschrubben lässt und mich danach einseift, hilft noch mehr. Wir duschen gern zusammen, ich mag es, wenn ihm seine nassen Haare in die Augen fallen und das Wasser an seinem Körper herunterläuft. Der Abend endet so perfekt wie er begonnen hat, mit ihm neben, an, über, unter und in mir.

***

Am nächsten Tag weckt uns kein „Merry Christmas“, sondern ein lautstarker Streit aus dem Zimmer nebenan. Kathy keift. Wegen ihres schottischen Akzents verstehe ich kein Wort.

„Was ist los?“, frage ich Greg.

„Sie fühlt sich nicht willkommen. Niemand fragt sie etwas, Paul bindet sie zu wenig ein. Sie kommt nicht gut klar.“ Er schaut mich an, ich ahne seine Gedanken: genauso wie ich. Zugleich komme ich auch in Deutschland nicht mehr klar, wenn er nicht da ist. Ein Leben ohne ihn ist nicht mehr vorstellbar für mich.

„Ich verstehe ihre Angst vor dem Umzug. Sie ist zurückhaltend, nicht die beliebteste Eigenschaft hier.“

 „Ja, ihr Europäer habt es nicht leicht bei uns, oder?“ Ich nicke. Er schaut mich ernst an, schiebt meine Haare hinter das Ohr. Wieder will er etwas sagen, ich aber will es nicht hören.

„An Weihnachten streiten, und dann auch noch bei euch hier bei deinen Eltern …“, sage ich und blicke ihm dabei fest in die Augen. Nicht heute, nicht hier. Er schaut an mir vorbei, aus dem Fenster, auf seinen Strand, sein Meer, seine Heimat. Die Sonne scheint bereits heiß und unbarmherzig, erhellt jedes Staubkörnchen in dem selten genutzten Zimmer und taucht mich schon wieder in Schweiß, bevor ich einen einzigen Schritt gelaufen bin. Hoffentlich können wir bald ans Meer, zu den beruhigenden Wellen, der Weite und Freiheit des Wassers.

„Gibt es für einen Streit den richtigen Ort und die richtige Zeit?“, fragt Greg. Das unbarmherzige Sonnenlicht zeigt die ersten Falten um seine Augen. Außerdem macht sich bei mir macht sich der Jetlag bemerkbar, ich nehme alles wie durch eine beschlagene Brille wahr, wie durch eine dicke Schicht Watte. Ich schüttle den Kopf und drehe mich weg.

Gregs Mutter ruft zum Frühstück. Der Tisch quillt über: Muffins, Baked Beans, Rührei, Bacon. Mir wird übel vom Speckgeruch, der durch die Luft wabert. Für mich hat sie irgendwo einen echten Dresdner Stollen aufgetrieben und schneidet mir eine breite Scheibe ab. Freudig beiße ich hinein. Doch er ist alt und trocken, in der Hitze zu schwer, und wird mit jedem Bissen mehr im Mund. Tapfer schlucke ich ihn hinunter. Sie lächelt mich an. Ob ich jetzt jedes Weihnachten in Australien trockenen Stollen bekomme?

Mich befremdet der Weihnachtsschmuck unter der glühend heißen Sonne, wie sich der Stollengeschmack mit Meeresbrise vermischt, die am Strand jauchzenden Australierinnen, die zu ihren knappen Bikinis Weihnachtsmützen tragen. Gereizt und müde schweige ich.

Nach der ersten Runde Kaffee schauen sich die Eltern fragend an.

„Sollen wir noch mal nach oben rufen?“, erkundigt sich seine Mutter bei Greg, der den Kopf schüttelt. Also werden die ersten Geschenke verteilt. Vorsichtig öffne ich das in Packpapier gewickelte Präsent, während Greg das seine aufreißt wie ein kleiner Junge. Beide halten wir dasselbe, im Self-Publishing erschienene Buch über ihre Afrika-Reise in der Hand: Fotos, Texte, Illustrationen. Die Eltern berichten über ihre Urlaubserlebnisse.

„Aber am schönsten ist es doch zu Hause“, beendet seine Mutter den Bericht und blickt dabei lächelnd zu Greg. Er schaut weg. Wahrscheinlich, weil er gerade auch so empfindet.

Nun kommen Paul und Kathy die Treppe herunter, wünschen uns kurz angebunden ein frohes Fest und trinken wortlos ihren Kaffee. Die Spannung am Tisch ist mit Händen greifbar.

Plötzlich sackt mein Kreislauf in sich zusammen, diese Hitze ist immer wieder zu viel für mich. Mit dem Schwindel kämpfend flüstere ich Greg zu, ob er mir kaltes Wasser bringen könne. Kathy reißt ihren Kopf herum und funkelt mich an.

„Redest du über mich? Wieso spricht hier keiner direkt aus, was los ist!“, faucht sie mich an.

Was soll ich dazu sagen? Greg hat mir schon erzählt, dass sich aus Kathys Sicht alles immer um sie dreht. Auf eine Diskussion habe ich keine Lust und schweige. Paul ist tiefrot angelaufen, knetet seine Hände und scheint sich ein Loch herbeizuwünschen, in dem er sich verkriechen kann. Als Greg antwortet, dass ich nur um Wasser gebeten hätte, füllen sich Kathys Augen mit Tränen. Man sieht, dass ihr alles zu viel ist, die neue Umgebung, die fremden Menschen. Scheinbar realisiert sie gerade, auf was sie sich einlässt. Ich schaue zu Greg. Auch er hat das erst in Deutschland verstanden. Aber er ist nicht Kathy.

Die Mutter steht auf und streckt Kathy die Hand entgegen. „Hilfst du mir, Kaffee holen?“

Mit vom Jetlag schweren Blick schaue ich ihnen nach. Zu mir ist Gregs Mutter auch freundlich, aber ich finde, dass sie Kathy schon mehr wie eine Schwiegertochter behandelt, obwohl sie sich derart daneben benimmt. Vielleicht, weil ich ihr den Sohn wegnehme? Wieso muss auch die halbe Welt zwischen unseren Familien liegen?

Nach dem Frühstück werden Shrimps gepuhlt, das traditionelle australische Weihnachtsessen. Je länger ich an den glitschigen Meeresinsekten herumfummle, desto übler wird mir. Mir ist immer noch schwindlig. Immer weniger Lust habe ich auf das abendliche Barbecue, bei dem die Shrimps neben riesigen Steaks auf dem Outdoor-Grill brutzeln werden. Man hat es hier schwer als Vegetarierin. Deshalb habe ich mich breitschlagen lassen, heute zumindest Meeresfrüchte zu essen, damit mich die Familie akzeptiert. Ganz schön voreilig.

Endlich sind die Eimer leer. Jetzt will ich einfach nur ins Meer rennen, mir den Fischgeruch abwaschen und unter den Wellen durchtauchen, bis ich wieder klar im Kopf bin.

„Wer geht mit ins Wasser?“, frage ich in den Raum, während ich mich an den Rahmen der Terrassentür lehne und sehnsüchtig zu den Fluten blicke. Die Wellen sind höher als gestern, ich höre die Brandung bis hierher, die Gischt ist weiß, das Meer dunkel.

Greg tritt hinter mich und legt mir die Arme um den Bauch. Bei seiner Größe kann er sein Kinn genau auf meinen Kopf ablegen, und so stehen wir für eine Weile, ganz eng. Ich klammere mich an seinen Arm.

„Mein Strand, meine Wellen, meine kleine Kartoffel.“

Gerade als wir uns die Handtücher schnappen wollen, fragt uns Gregs Mutter:

„Wollt ihr noch was auspacken?“

Gerne lassen wir uns breitschlagen und sie überreicht mir ein weiteres Päckchen und Greg etwas Viereckiges, Größeres. Ein Bilderrahmen? Ein schönes Familienfoto für unsere Wohnung? Das könnte bei seinen Heimwehattacken helfen. Ich bin noch mit dem vorsichtigen Ablösen der Klebestreifen beschäftigt, als er sein Geschenk schon längst aufgerissen hat und darauf starrt, schweigend, angespannt. Dann dreht er es um, weg von mir, und will den Raum verlassen. Ich lege mein Geschenk zur Seite – ein Bildband von New South Wales – und halte ihn am Arm fest.

„Zeig doch mal, was hast du denn da?“, frage ich. Ein Jugendfoto von ihm? So hässlich ist das Bild doch bestimmt nicht. Was könnte ihm so peinlich sein?

Nun dreht er sich zu mir um. Unter der wettergegerbten Bräune ist er erbleicht. Er blickt zu Boden, schluckt. Auch seine Mutter schaut uns entsetzt an.

 „Greg, was ist denn los? Weiß sie nicht Bescheid?“

Was geschieht hier? Ich reiße seinen Arm zu mir, entwinde ihm das Bild und will es zu mir drehen. Er ergreift meine Hand und hält sie fest.

„Nicht, Julia, gib das her. Komm, lass uns kurz rausgehen, lass uns erst reden.“

„Was ist denn los? Jetzt lass mich das doch anschauen!“ Ich schiebe ihn zur Seite und schaffe es endlich, das Bild umzudrehen. Es ist kein Foto.

„Voucher“ ist die Überschrift und es dauert einen Moment, bis mir einfällt, dass es das englische Wort für Gutschein ist. Auch die anderen Wörter verstehe ich erst nicht, allerdings weil ich so geschockt bin über ihre Bedeutung. „Kaution für deine neue Wohnung“, steht da in Schönschrift, daneben sind ein paar große australische Dollarscheine angepinnt.

Ich sage nichts, blicke zu ihm, zur Mutter, wieder zu ihm. Er schaut mich nicht einmal an. Ich trete einen Schritt auf ihn zu, versuche seinen Blick zu mir zu lenken. Mein Magen verknotet sich. Mir wird schlecht.

„Was ist das? Was hat das zu bedeuten? Welche Wohnung?“ Er schüttelt schweigend den Kopf. „Greg!“ Inzwischen schreie ich, schlage mit einer Faust gegen seine Brust. Wieso schaut er mich nicht an? „Antworte mir!“

Endlich hebt sich sein Blick. Tränen stehen in seinen Augen. Er holt tief Luft, versucht meine Hand zu nehmen, doch ich schlage sie weg.

„Julia. Ich liebe dich. Das macht alles so schwer. Du bist die beste Frau, die mir–“

„Hör auf mit dem Mist!“, brülle ich ihn an. „Das will ich jetzt nicht hören! Was ist los?“

Er greift noch einmal nach meiner Hand, hält sie fest, lässt nicht zu, dass ich sie ihm entziehe.

„Ich finde für mich keinen Weg in Deutschland, Jules. Ich komme nicht mit zurück.“

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